Vater mit seinen beiden Kindern am Vatertag

Vatersein heute – Zwischen Ideal und innerem Zweifel

Die Vaterrolle hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Väter von heute wollen mehr sein als nur Versorger – sie möchten präsent, emotional ansprechbar und gleichberechtigte Bezugspersonen für ihre Kinder sein. Doch dieser Wandel bringt neue Herausforderungen mit sich. Viele Männer spüren innerlich eine Kluft zwischen traditionellen Rollenbildern, persönlichen Ansprüchen und gesellschaftlichen Erwartungen. Häufig tauchen in der Einzelberatung Aussagen auf wie: „Ich will ein anderer Vater sein als meiner – aber wie geht das?“ Diese Fragen sind nicht oberflächlich. Sie berühren zentrale Aspekte der männlichen Identität. Denn die Vaterrolle ist tief mit der eigenen Biografie, den erfahrenen Vorbildern und unbewussten Mustern verknüpft. Systemische Beratung bietet einen geschützten Raum, um genau diese Themen zu reflektieren.

Verborgene Prägungen – Wie unsere Herkunft das Vatersein beeinflusst

Zum Vatertag rücken nicht nur Geschenke und Danksagungen in den Vordergrund, sondern auch die Frage: Welche inneren Bilder von Vaterschaft trage ich eigentlich in mir? In der systemischen Arbeit zeigt sich oft, dass Männer unbewusst Rollenmuster ihrer Väter, Großväter oder anderer Bezugspersonen übernehmen – selbst, wenn sie diese ablehnen.

Ein Klient berichtete, er habe sich fest vorgenommen, nie laut zu werden wie sein Vater – und dennoch ertappte er sich dabei, in Stresssituationen genau das zu tun. Solche Wiederholungen lassen sich selten rein durch Willenskraft vermeiden. Sie sind tief im Familiensystem verankert. Erst durch Bewusstmachung und das Sichtbarmachen familiärer Dynamiken – etwa über ein Genogramm oder die Arbeit mit inneren Anteilen – entsteht Raum für Veränderung.

Systemische Perspektive – Vom inneren Erwartungsdruck zur Selbstklärung

Systemische Beratung betrachtet den Menschen nie isoliert, sondern immer in Beziehung: zur Herkunftsfamilie, zum eigenen Kind, zum gesellschaftlichen Umfeld. Wer sich als Vater reflektiert, gewinnt oft nicht nur Klarheit über die aktuelle Familiensituation, sondern auch über persönliche Bedürfnisse und verdeckte Loyalitäten.

In der Einzelberatung begegnen Männer häufig folgenden Themen:

  • Der Wunsch, „es besser zu machen“ – ohne zu wissen, wie.
  • Schuldgefühle, wenn Beruf und Familie nicht in Einklang stehen.
  • Das Bedürfnis nach Nähe, aber auch nach Selbstfürsorge.
  • Die Angst, zu versagen oder nicht „genug“ zu sein.

Indem diese Themen in einem wertschätzenden, urteilsfreien Rahmen besprochen werden, entsteht ein neues Verständnis für sich selbst. Männer erkennen: Es gibt nicht die richtige Art, Vater zu sein – aber es gibt einen authentischen, selbstbestimmten Weg, der zu ihnen passt.

Vatertag neu denken – Ein Anlass zur persönlichen Standortbestimmung

Statt Vatertag nur als Konsumfest oder äußeres Ritual zu betrachten, kann er auch ein Impuls sein, sich mit der eigenen Vaterrolle ehrlich auseinanderzusetzen. Was bedeutet mir Vaterschaft wirklich? Was habe ich von meinem Vater übernommen – und was möchte ich weitergeben oder loslassen? Systemische Beratung unterstützt Männer dabei, diese Fragen nicht nur rational zu beantworten, sondern emotional zu durchdringen. Sie eröffnet Perspektiven, die tiefer reichen als klassische Tipps zur „Work-Life-Balance“ oder Erziehung. Denn echte Veränderung beginnt mit Selbsterkenntnis – und mit der Erlaubnis, sich selbst zu begegnen.

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© Christiane Hoffschildt, Systemische Beraterin